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Selektionsverfahren im Nachwuchsleistungssport

Während unsere U18 Nationalmannschaft sich in Okinawa (Japan) befindet, sitze ich ungleich meiner schulischen Laufbahn in den vorderen Rängen einer Fortbildung der Trainerakademie (TA) in Köln, seit gestern. Warum sitze ich so weit vorne? Ich bin zu spät, sehr interessiert und altersbedingt mit weniger Sehvermögen ausgestattet 😉

Thema: „Leistungsreserve Technologie im Leistungssport“. Aus dem Baseball kommend – wir nutzen in Paderborn Rapsodo und Blastmostion, sowie Lichtschranken und Videoanalyse – sehr interessant. Noch interessanter, an der TA treffen bei diesen Veranstaltungen viele verschiedene Sportarten aufeinander. Heute: Basketball, Handball, Schwimmen, Fussball, Baseball, Karate und Gewichtheben – ein reger Austausch, grossartig, empfehlenswert!

Der Dozent von gestern hat den Termin verpeilt, es wurde also improvisiert. Schöner scheiss, dachte ich, bis der Kollege einer Landesauswahl Basketball sagte „Wenn wir nach unseren Messverfahren wissen, dass ein aktuell 13-Jähriger nicht mind. 1,98m gross wird, lassen wir ihn zu Hause.“

Moment! Was ist mit dem unmittelbaren Erfolg eurer U14 Nationalmannschaft? Gibt es im Basketball nicht, erst ab U16!

Im Basketball wird also basierend auf einem scheinbar für diesen Sport sehr relevanten Messwert, hier Körpergrösse, gefördert oder eben nicht. Der unmittelbare Erfolg der Landesauswahl steht aufgrund der fehlenden Nationalmannschaften im Hintergrund. Es geht also um die Förderung der vielversprechendsten Athleten für die U16, ab der U12. Auch beim Basketball ist, wie im Baseball, das Ländervergleichsturnier eine Sichtungsmassnahme der Nationalmannschaften. Da diese aber erste später losgehen interessieren sich die Bundestrainer mehr für die Projezierbarkeit als die aktuelle Leistung im Spiel.

Ich war beeindruckt. In meiner Sportart spielen Geburtsdatum (Relativalterseffekt) und Reifestatus (körperliche Überlegenheit) ab der U12 eine übergeordnete Rolle. Schliesslich spielen wir da bereits sehr erfolgreich auf internationaler Bühne. Deutschland ist Baseball-Europameister U12 und U15, mehrfach – und, wie bereits erwähnt, aktuell auf der WM in Japan mit der U18 vertreten.

Meine aktuelle Ehrfurcht – warum machen wir es nicht wie die Basketballer? – wurde im Laufe des Abends allerdings zumindest vorübergehend relativiert. 

Henne oder Ei?

Liegt der Körperhöhendurchschnitt in der Basketball-Bundesliga (BBL) bei 1,99m, und disqualifiziert damit Athleten, bei denen man aufgrund wissenschaftlich fundierter Messverfahren weiss, dass sie diese Grösse nicht erreichen werden und damit chancenlos im Wettkampf sind? 

Oder, liegt der Körperhöhendurchschnitt in der Basketball-Bundesliga (BBL) bei 1,99m, weil man Athleten mit geringerer Grösse von vorne herein aus der Förderung, und damit aush dem Wettbewerb, nimmt?

Machen wir vielleicht doch mehr richtig als falsch? Schliesslich stärkt der hochwertige Wettkampf das Selbstbewusstsein und bildet auf höchstem spielerisch aus. Wettkampfausbildung und Erfolg können zu mehr Erfolg führen. Oder, fördern wir von Anfang an einfach körperliche Überlegenheit und vernachlässigen dafür Talente?

Wie immer, bin ich zu keinem endgültigen Ergebnis gekommen, wie unbefriedigend 😉 Der Lehrgang geht aber noch zwei Tage.

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Das Talent – eine Summe leistungsvermittelten Selbstwerts

In der aktuellen Ausgabe der der ZEIT (Wochenzeitung) steht ein interessanter Artikel über Tennisspieler der Weltelite – über Einsamkeit, Isolation und Burn Out. Er handelt davon, wie Supertalente mit 16 Jahren aus ihrem Umfeld gerissen und in ein professionelles Setting gesteckt werden. Entscheidend ist hierbei, dass kein Platz und keine Zeit für Freunde vorgesehen ist. 

Besonders bezeichnend empfand ich folgenden Satz der Autorin, Andrea Petkovic, eine ehemalige Tennisprofispielerin: „Das Fanatasiegespinst möchte deine Seele, ein paar Körperteile (wahlweise Schulter oder Knie), und dein Privatleben, aber hat keinesfalls die Absicht, etwas dafür zurückzugeben bis ein paar Säcke voller Geld.“*

Zu kostbar ist die Zeit des Talents, zu fragil der Körper entscheiden die Berater, Ärzte, Agenten und Trainer. Hierbei handelt sich um Personen, die sich nicht für den Menschen, sondern für dessen Leistungsvermögen interessieren. Sie bewerten den Athleten basierend auf seinen Platzierungen auf Turnieren – ja, ich bin noch beim Tennis 😉 Von ihnen erhält der Athlet seinen leistungsvermittelten Selbstwert. 

In den Hintergrund gerät dabei die Seele, der Geist und damit die mentalen Gesundheit, die entscheidend für die langfristige Performance ist. Während Freunde sich mit dem Abitur, der Selbstfindung auf Auslandsreisen oder Studienwahl GEMEINSAM beschäftigen und unterstützen, ist der Top Performer umzingelt von Blutsaugern, die die Sportkarriere vorantreiben wollen. Ein 16-Jähriger ist aber auf den Austausch mit Freunden, unabhängig von seiner sportlichen Performance angewiesen um bei Verstand zu bleiben – daraus ergibt sich sein sozial vermittelter Selbstwert. Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?*

Entscheidet sich also ein 16-18 Jähriger für eine Baseball Pofikarriere, so opfert er damit den Umgang mit Gleichgesinnten zu Gunsten des unbarmherzigen Profitums während ein Athlet, der das College im Visier hat bis zu seinem 18. Lebensjahr die reguläre Schule besuchen wird – mit Freunden. Anschliessend folgt hoffentlich für diesen Athleten das College in den USA. Wieder sehr viele Gleichgesinnte, die kaum älter sind als unser Spieler.

Die Kombination aus Leistungssport und Studium ermöglicht es an eigenen Coping Mechanismen, dem Umgang mit Widrigkeiten, im Austausch mit anderen zu arbeiten. Wenn dann nach dem College, mit ca. 22 Jahren, eine Profikarriere folgen sollte, so ist der Athlet mit wesentlich mehr Werkzeugen seelisch, mental und sportlich ausgestattet um Herr seiner neuen Lage zu werden. Wenn nach dem College keine Profikarriere folgt, so war man wahrscheinlich auch mit 16 bis 18 Jahren die falsche Wahl. 

An Stelle von Selbstzweifeln und Anschlussschwierigkeiten im Alltag nach 3-4 unbefriedigenden Jahren im Profibaseball hat man dann aber vielleicht eine College Baseballkarriere hinter sich, und einen Bachelor in der Tasche –  auch nicht schlecht –  weder für den leistungsvermittelten, noch für den sozial vermittelten Selbstwert.

*DIE ZEIT No 29

**Buchtitel von Richard David Precht